A cyclist riding quickly across a city street between two buses

Dooring-Unfälle in Deutschland: Rechtspflichten und Haftung nach deutschem Recht

 

Im deutschen Verkehrsrecht werden Unfälle, die durch plötzlich geöffnete Autotüren verursacht werden, als „Dooring-Unfälle“ eingestuft. Diese Vorfälle betreffen besonders Radfahrende und E-Bike-Fahrende, die oft schneller unterwegs sind und hohen Risiken ausgesetzt sind. Die Rechtsfrage ist klar: Wer trägt die Verantwortung, wenn ein Radfahrender mit einer geöffneten Autotür kollidiert?

Anders als in Common-Law-Ländern stützen sich deutsche Gerichte bei der Lösung solcher Streitigkeiten in erster Linie auf gesetzliche Vorschriften (Gesetze). Die Rechtsprechung dient vor allem dazu, die Anwendung dieser Vorschriften zu veranschaulichen.


Anwendbare deutsche Gesetze

Betrachtet man das deutsche Verkehrsrecht, bestimmen drei zentrale Vorschriften den Ausgang eines Dooring-Falls. Sie greifen ineinander, erfüllten aber jeweils eine andere Funktion.

StVO §14 Abs.1 – Pflicht beim Öffnen von Fahrzeugtüren

Das deutsche Recht ist hier sehr eindeutig:

„Wer ein- oder aussteigt, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; das gilt auch für das Öffnen der Fahrzeugtüren.“

📖 Source: StVO §14

Diese Regel lässt kaum Zweifel: Wer die Tür öffnet, trägt eine strenge Sorgfaltspflicht.


BGB §254 – Mitverschulden

Doch was, wenn die/der Radfahrende ebenfalls unvorsichtig war? Hier greift BGB §254:

„Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz... insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.“

📖 Source: BGB §254

Das verschafft den Gerichten Spielraum. Ignoriert eine/ ein Radfahrende/r Grundregeln – z. B. durch zu hohes Tempo, Fahren gegen die Richtung oder ein nicht konformes E-Bike – kann das Gericht die Entschädigung mindern.

Ein Radfahrer steht neben einem gestürzten E-Bike auf einer schmalen Landstraße


StGB §229 – Fahrlässige Körperverletzung

Schließlich gibt es den strafrechtlichen Aspekt. §229 StGB lautet:

„Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

📖 Source: StGB §229

Das bedeutet: Bei schweren Verletzungen endet die Sache nicht beim Zivilrecht. Fahrer/in oder Mitfahrende können sich zusätzlich einem Strafverfahren ausgesetzt sehen.


Gerichtliche Praxis

Gesetze sind der Ausgangspunkt, doch die Rechtsprechung zeigt, wie sie angewandt werden. Einige Beispiele:

  • KG Berlin (2010, 12 U 216/09) – Ein Radfahrender wurde getroffen, als ein Mitfahrer die Tür direkt in den Radfahrstreifen öffnete. Das Gericht nahm eine volle Haftung des Fahrers an und wendete §14 StVO strikt an: Eine Tür darf nicht geöffnet werden, wenn dadurch Radfahrende gefährdet werden.

  • LG Köln (2021, 5 O 372/20) – Eine/ ein Radfahrende/r kollidierte mit einer Autotür, nachdem er/sie sehr nah an parkenden Fahrzeugen fuhr. Das Gericht entschied auf geteilte Haftung: 70 % Fahrer, 30 % Radfahrende/r, da kein ausreichender Seitenabstand eingehalten wurde.

  • OLG München (2012, 10 U 2626/12) – Hier fuhr der/die Radfahrende mit hoher Geschwindigkeit, als die Tür geöffnet wurde. Das Gericht bestätigte die Hauptverantwortung des Fahrers, reduzierte aber die Entschädigung wegen des riskanten Verhaltens des/der Radfahrenden.

Insgesamt zeigt sich ein klares Muster: Deutsche Gerichte verlangen, dass Türen nur gefahrlos geöffnet werden; zugleich reduzieren sie den Schadenersatz, wenn Radfahrende ihre eigenen Pflichten missachten.

Deutsches Verkehrszeichen: Ende einer Fahrradstraße


Aus diesen Ebenen ergeben sich einige klare Punkte:

Primäre Haftung

Nach §14 StVO ist fast immer die Person verantwortlich, die die Tür öffnet. Das ist das Fundament des deutschen Dooring-Rechts.

Mitverschulden der Radfahrenden

Dennoch kann §254 BGB das Ergebnis verändern. Verstößt ein/e Radfahrende/r gegen Regeln – etwa Fahren gegen die Richtung oder zu schnelles Fahren –, kann das Gericht die Entschädigung häufig um 20–40 % kürzen.

Strafrechtlicher Aspekt

Kommt es zu Verletzungen, kann §229 StGB greifen. Dann tritt neben die zivilrechtliche auch strafrechtliche Verantwortung.

Deutsches Warnschild

Praktische Konsequenzen

Wie wirken sich diese Regeln in der Praxis aus?

Für Radfahrende

  • Halten Sie möglichst mindestens 1 Meter Abstand zu parkenden Autos.

  • Achten Sie darauf, dass Ihr E-Bike rechtskonform ist (≤ 250 W, ≤ 25 km/h).

  • Im Unfallfall: Polizei rufen, Fotos machen, Zeugendaten sichern; wenn das Rad nicht fahrbereit ist, können Sie den ADAC-Pannendienst kontaktieren.

Für Autofahrende

  • Vor dem Öffnen der Tür stets Spiegel und den toten Winkel prüfen.

  • Üben Sie die Weit-Hand-Methode (Türöffnen mit Schulterblick) — öffnen Sie mit der gegenüberliegenden Hand, damit sich der Oberkörper dreht und der Schulterblick erfolgt. oder sehen Sie sich hier das Video an

  • Kommt es zum Unfall: am Ort bleiben, Daten austauschen, Polizei hinzuziehen und die Kfz-Haftpflichtversicherung informieren.

Häufige Fragen zu Dooring-Unfällen

F1: Trägt der/die Fahrer/in bei einem Dooring-Unfall immer die Schuld?

Nicht immer. Nach §14 StVO trifft den/die Fahrer/in (oder Mitfahrende/n) die Hauptsorgfaltspflicht beim Öffnen der Tür. War der/die Radfahrende jedoch zu schnell, fuhr gegen die Fahrtrichtung oder nutzte ein illegales E-Bike, können Gerichte §254 BGB (Mitverschulden) anwenden und die Entschädigung kürzen.

F2: Welchen Abstand müssen Radfahrende zu parkenden Autos halten?

Gerichte nennen häufig mindestens 1 Meter (Sicherheitsabstand). Fährt jemand näher und es kommt zum Unfall, kann eine Mithaftung angenommen werden.

F3: Was gilt, wenn ein S-Pedelec (> 25 km/h) genutzt wurde?

S-Pedelecs werden rechtlich als Kleinkrafträder behandelt. Bei einem Dooring-Unfall kann die volle Entschädigung problematisch sein, wenn das Fahrzeug nicht zugelassen oder versichert war.

F4: Drohen dem/der Fahrer/in strafrechtliche Folgen?

Ja. Bei Körperverletzungen kann §229 StGB (Fahrlässige Körperverletzung) greifen – zusätzlich zur zivilrechtlichen Haftung drohen Geldstrafe oder Freiheitsstrafe.

F5: Was sollten beide Parteien unmittelbar nach einem Unfall tun?
  • Polizei verständigen und ein offizielles Protokoll sicherstellen.

  • Beweise sichern (Fotos, Zeugenkontakte, Schäden).

  • Fahrende müssen Versicherungsdaten austauschen und ihre Kfz-Haftpflichtversicherung informieren.

  • Radfahrende können bei nicht fahrbereitem Rad den ADAC-Pannendienst rufen.

Weiterführende Lektüre

Wer zahlt, wenn eine Autotür eine/n Radfahrende/n trifft? Dooring-Unfälle in den Niederlanden erklärt

Zurück Weiter
Kommentar hinterlassen 0 Kommentare